Dietmar Bleyl (Hrsg.): 685 – 2010 Nattwerder. 325
Jahre Besiedlung des Golmer Bruches. Nattwerder:
Schweizer Kolonistendorf e.V. 1. A 2010. 96 S., 2 Lagepläne.
Anlässlich
der 325-jährigen
Besiedlung des Schweizer Kolonistendorfes Nattwerder
im Golmer Bruch hat der Verein „ Schweizer Kolonistendorf Nattwerder
e.V.“ eine Festschrift verfasst und herausgegeben. Unter der Regie von Dr. sc.
Dietmar Bleyl
haben Autoren und Autorinnen 13 ausgewählte Themen veröffentlicht.
Zu diesen
Themen gehören : Vorgeschichte der Besiedlung des
Golmer Bruches, gefährliche Schiffsreise der 101 Schweizer Einwanderer,
Erläuterung der historischen Verträge zwischen den Schweizer Kolonisten und
Kurfürst Friedrich Wilhelm. Die Entstehung des Ortes Nattwerder,
der Dorfkirche mit Friedhof, das Predigerhaus, das Einhaus und das Gesindehaus
sind weitere Themen. Neben den Beiträgen zur reformierten Gemeinde und ihren
aus der Schweiz beorderten Predigern wurden
auch neuzeitliche Themen zur Entwicklung
des Dorfes Nattwerder nach 1945 und nach der Wende
dargelegt. Erstmals wurde das Thema Landschaftsschutz kontra wirtschaftliche
Nutzung behandelt.
Ein Schwerpunkt
der Festschrift stellt die Beschreibung der Ortsgeschichte und ihre Einwohner
dar; dazu zählen als geistliches Zentrum die Dorfkirche mit ihrem historischen
Friedhof und die vier Bauernhöfe.
Aufschlussreich wird der verspätete mit Problemen behaftete Bau des
Predigerhauses geschildert. Aus dem ältesten Kirchenbuch der reformierten
Gemeinde Golmer Bruch, das nicht nur kirchenamtliche Eintragungen enthält,
stammen neuere Erkenntnisse zur genealogischen Erforschung der kinderreichen,
verzweigten Kolonistenfamilien. Neben Themen zur Betreuung der Kirchengemeinde Nattwerder gibt es eine chronologische namentliche
Aufstellung der aus der Schweiz stammenden Prediger und der evangelischen
Pfarrer bis zur Gegenwart. Prediger Siegesmund Lupichius
und Johann Friedrich Kessler haben sich für die vertraglichen Rechte der
Kolonisten und die Integration in die lutherische Gemeinde Alt-Töplitz
eingesetzt. Erstmals fand eine Betrachtung der drei Jubiläen statt, die in den
Jahren 1885, 1935 und 1985 gefeiert wurden. Über die Feier des 200-jährigen
Bestehens des Schweizer Kolonistendorfes Nattwerder im
Jahre 1885, die in der Kirche mit einem Dankgottesdienst begangen wurde, gibt
es keine schriftlichen Angaben. Unter dem Einfluss des diktatorischen NS-Systems
wurde 1935 die Dorfkirche durch Anbringen
von Hakenkreuzfahnen ideologisch missbraucht. An die Feier zum 3oo. Jubiläum
1985 können sich viele Zeitzeugen erinnern. Eine erstmals herausgegebene
Festschrift von Henning Heese enthält wertvolle Beiträge zur Ortsgeschichte von
Golm, Nattwerder und Neu- Töplitz. Neuere Themen nach
dem Zweiten Weltkrieg und der politischen Wende beinhalten zeitbedingte
Veränderungen in der umstrukturierten und durch den technischen Fortschritt
modernisierten Land- und Wasserwirtschaft.
Das Thema
Landschaftsschutz kontra wirtschaftliche Nutzung im Gebiet Golmer Bruch verdeutlicht die Probleme der örtlichen Boden-
und Wasserverhältnisse, die mehr als zwei Jahrhunderte nicht beherrschbar
waren. Schwerwiegende Eingriffe in die Naturlandschaft durch Abbau von Torf und
Ton veränderten die zum Teil meliorierte Kulturlandschaft. Es entstanden große
Wasserflächen von über 300 ha, die 135 Vogelarten
Lebensraum boten. Es entwickelte sich eine reiche und vielfältige Fauna und Flora. Mehrere
überregionale Naturschutzverbände und die Stadt Potsdam ließen 1927 den
nördlichen Teil des Golmer Bruches zum Naturschutzgebiet erklären. 7 Jahre
später wurde die Polizeiverordnung über das Naturschutzgebiet aufgehoben und
das Gelände zur Ablagerung von Berliner Müll freigegeben, um angeblich
fruchtbares Ackerland zu gewinnen. Auf den kontaminierten Müllspülflächen
erfolgte 1955 eine großflächige Pappelpflanzung. Seit 1998 ist das Golmer Bruch wieder Landschaftsschutzgebiet,
genannt „Potsdamer Havel -, Wald- und Seengebiet“. Der vorletzte Beitrag ist
dem Andenken von zwei verdienstvollen Personen des Kolonistendorfes gewidmet.
In den letzten Jahrzehnten haben Annemarie Haardt und Fritz Kiener mit viel
Tatkraft wesentlich zur Erhaltung und Verschönerung des Kolonistendorfes, das
im Ursprung erhalten ist, beigetragen. Im letzten Beitrag sind die Bildung des
Vereins „Schweizer Kolonistendorf Nattwerder e.V.“,
ihre Aufgaben und die erzielten Erfolge dargestellt. Anlässlich des 2o. Jahrestages des Vereins ist für 2012 ein Fest in Vorbereitung .
Im Anhang
der vorliegenden Jubiläumsschrift sind wichtige Unterlagen enthalten zu denen
der historische Vertrag des Kurfürsten Friedrich Wilhelm vom September 1685,
die Chronologie der Schweizer Kolonie im Golmer
Bruch, das umfangreiche Literaturverzeichnis mit vielen Originalquellen
, der aktuelle Lageplan des Kirchhofes und der Übersichtsplan zur
Bodenverbesserung im Golmer Deichverband von 1915 gehören.
Die
Jubiläumsschrift beschränkt sich auf ausgewählte Themen des Schweizer Kolonistendorfes
Nattwerder. Bei einer Neuauflage wäre es
wünschenswert, zwei zusätzliche Beiträge aufzunehmen. 1984 erklärte der
Denkmalschutz der DDR das Kolonistendorf
zum Denkmal mit Gebietscharakter. In der Denkmalliste des Landes Brandenburg
wird es unter Potsdam mit der
Bezeichnung „ Kolonistendorf Nattwerder mit Kirche
und Friedhof, vier Gehöftanlagen, Gesindehaus, Pfarrhaus“ geführt. Sowohl die
Denkmalbeurteilung Nattwerder von 2008 als auch das Thema Wasser mit den
historischen und bestehenden Entwässerungsanlagen (Schöpfwerke), die eine
dominierende Rolle hatten und haben , sollten hinzugefügt werden.
Wie das in
„ Mitteilungen der Studiengemeinschaft Sanssouci e.V.“, 15. Jahrgang, Potsdam 2010
rezensierte Buch über das Krongut Bornstedt ergänzt
auch die vorliegende Festschrift die Potsdamer Regionalgeschichte und weist
auch auf touristische Anziehungspunkte hin.
Das
vorliegende, handliche Buch mit 60
Bildern und Anhang ist vorzüglich ausgestattet.
inhaltlich, geschichtlich und wissenschaftlich erfüllt die Festschrift,
auch durch den großen Anteil von Originaldokumenten, in hohem Maße den Anspruch
auf fundierte Regionalliteratur.
Für
Geschichts- und Naturfreunde, Touristen und genealogisch Interessierte ist diese Festschrift sehr zu empfehlen.
Adolf
Kaschube