Potsdam-Lexikon. Stadtgeschichte von A bis Z, im
Auftrag des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte und der
Landeshauptstadt Potsdam, Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte,
hrsg. von Thomas Wernicke, Jutta Götzmann und Kurt Winkler, in Zusammenarbeit
mit Klaus Arlt, Helmut Assing, Clemens Bergstedt, Hans-Joachim Giersberg, Frank
Göse, Hans-Joachim Schreckenbach, Gert Streidt, Berlin: Verlag für
Berlin-Brandenburg, 1. A. 2010, 432 S.
In den letzten Jahren sind eine Reihe
von Stadtlexika erschienen wie e. g. für Weimar, Hannover, Dresden und Breslau,
die lokalgeschichtliches Interesse und identitätsstiftende Sehnsucht der
Stadtbürger und ihrer Besucher bedienen. An diese kann das 2010 erschienene
Potsdam-Lexikon in Umfang und Qualität nicht heranreichen, was durchaus auch in
finanziellen Gründen zu suchen sein dürfte. Doch kann als Positivum vermerkt
werden, daß diese Publikation nach fast zwei Jahrzehnten der Projektierung
endlich erscheinen konnte. Verantwortlich hierfür zeichnen das Haus der
Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Zusammenarbeit mit dem
Potsdam-Museum, die im Verbund mit 52 Autoren unterschiedlichster Fachgebiete
ein 772 Lemmata umfassendes Nachschlagewerk zur Potsdamer Stadtgeschichte, die
ja auch immer zugleich brandenburgisch-preußische Hof- und Staatsgeschichte
war, vorlegten. So bieten die einzelnen Beiträge von „Acht Ecken“ bis
„Zwangsarbeit in Potsdam“ ein kurzweiliges Spektrum Potsdamer Befindlichkeiten
aus „wissenschaftlicher Grundlage“, die „den neuesten Forschungsstand
garantieren“, so das Vorwort der Herausgeber (S. 8 f.).
Schwerpunkt bildet naturgemäß der
historisch-geographische Raum, in dem die Insel Potsdam – relativ spät – schließlich zu Preußens
Arkadien heranwuchs. Vernachlässigt wurden, bis auf die brandenburgisch-preußischen
Kurfürsten und Könige, bewußt die personellen, die Potsdamer Geschichte
maßgeblich mitgestaltenden Bezugspunkte, wodurch die Herausgeber sich eines
wesentlichen Bestandteiles der Stadtgeschichte entäußerten. Ein statt eines Registers
dem Anhang beigegebenes „Verzeichnis ausgewählter Personen“ ohne direkten
Seitenbezug zum Lexikonteil läßt die Kriterien für diese Auswahl dem Benutzer
nicht so recht deutlich werden und diesen Teil etwas bezugslos im Buche
erscheinen. Das im Jahre 2002 im selben Verlage erschienene Brandenburgische
Biographische Lexikon bietet hierbei allerdings einen gewissen Ersatz. Daß in
dieser Auswahl beispielsweise General v. Rohdich fehlt und des nach ihm
benannten Legatenfonds auch im lexikalischen Teile nicht gedacht wird, ist
ebenso ärgerlich wie die Degradierung des Generalleutnants v. Einsiedel zum
preußischen Major.
Die Vielfalt der beteiligten Autoren
beinhaltet freilich auch eine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen,
jeweils mit Namenssigle gekennzeichneten und manchmal doch recht
holzschnittartig ausgefallenen Stichwörter. So hätte sich der Rezensent eine
angemessenere Berücksichtigung des Musikraumes Potsdam, der so unbedeutend
nicht war, gewünscht. Etwas ungewöhnlich für ein Lexikon dagegen sind die etwa
ein Fünftel des Umfanges einnehmenden Aufsätze zum Naturraum und der
Entwicklung der Stadt im Rahmen der politischen Geschichte von der Urzeit bis
zur Gegenwart, die eher in einem Handbuche denn in einem Lexikon zu erwarten
wären, dem Leser jedoch die Annäherung und Einordnung deren Bedeutung in der
historischen Entwicklung Brandenburg-Preußens erleichtern. Die meisten Lemmata
nennen, leider nicht durchgängig, wichtige weiterführende Literatur, die im
Anhang bibliographisch aufgeschlüsselt werden.
Daß die schon erwähnte
wissenschaftliche Grundlage und der neueste Forschungsstand sich nicht immer
als strenger Maßstab bei der Gestaltung der Beiträge erwiesen, sei hier an
einigen ausgewählten, dem Interesse des Rezensenten geschuldeten Anmerkungen zu
vornehmlich militärgeschichtlichen Hinweisen deutlich gemacht (um den Rahmen
dieser Rezension nicht zu sprengen, wurde auf die jeweiligen Nachweise
verzichtet):
Die noch nicht in die
Regimentsstammrolle eingereihten Regimentsangehörigen hießen „Unrangierte“,
nicht „Ausrangierte“ (S. 43); nicht „Zum Vergnügen der Einwohner“, sondern „Dem
Vergnügen der Einwohner“ lautete die Widmung Friedrich Wilhelms II. im Giebel
des Schauspielhauses („Kanaloper“) (S. 46), wie sie im übrigen auf S. 323
korrekt erwähnt wird; daß die Kolonie Alexandrowka „im Stil russischer
Militärkolonien“ erbaut worden sei, dürfte nach den neueren wissenschaftlichen
Erkenntnissen, die das Vorbild in dem nach den Plänen des italienischen
Architekten Rossi für die Zarin errichteten russischen Parkdorf Glasowo sehen,
überholt sein (S. 49, 316); die städtebaulichen Maßnahmen des Potsdamer
Oberbürgermeisters Hans Friedrichs orientierten sich nicht einseitig „am Ausbau
der Potsdamer Garnison“, sondern waren weitreichenderer Natur (S. 54); die immer
wieder zitierte Behauptung, der Alte Friedhof sei unter Mitwirkung Lennés
„gestalterisch überarbeitet“ worden, läßt sich im Werkverzeichnis des
Gartenkünstlers nicht belegen, der einzige Hinweis des Romanschriftstellers
Häberlin vulgo Belani a. d. J. 1855 spricht nur recht allgemein „von einer
Umwandlung […] nach Lennés Plan“, womit auch die Beschaffung floraler
Ausstattung aus Lennés Landesbaumschule oder Ratschläge aus seinem
Mitarbeiterstabe gemeint sein können (S. 86); die Angriffe der deutschen Luftwaffe
nach Kriegsausbruch 1939 „auf die überfallenen Länder“ als Begründung für den
alliierten Luftterror der Folgejahre zu sehen, ist historisch objektiv falsch.
Die ersten deutschen Angriffe richteten sich auf taktische und operative Ziele
(Wieluń zu Beginn des Polenfeldzuges als Ort in der Hauptstoßrichtung der
10. Armee mit vermuteten feindlichen Kräften in Brigade-/Divisionsstärke,
Rotterdam als Festung, Coventry mit Rüstungsbetrieben im Stadtzentrum) und
waren nach damaligem Kriegsvölkerrecht und Kriegsgewohnheitsrecht legitim (S.
114); das 'Krongut Bornstedt' wie auch die 'Langen Kerls' haben mittlerweile
eine umfangreiche literarische Würdigung und Dokumentation gefunden, die
unerwähnt bleiben (S. 118, 242); seit 1855 hieß das zweitvornehmste Regiment in
Potsdam „Regiment der Gardes du Corps“ und nicht „Garde du Corps“ o. ä. (S.
177, 223, 285); zur Garde in Potsdam zählten neben den erwähnten Einheiten noch
die Garde-Maschinengewehr-Abteilkung, ein Detachement der Schloßgardekompanie
sowie das Lehr-Infanteriebataillon als Pflanzschule der preußischen Armee (S.
177); eine „kaiserliche Garde-Kavallerie“ hat es nie gegeben, sie war und blieb
immer „königlich preußisch“ (S. 212); das „2. und 4. Feldartillerie-Regiment“
stand in Kolberg bzw. Magdeburg, richtig muß es heißen: „2. und 4.
Garde-Feldartillerieregiment“ (S. 221, 224); General v. Tresckow, nicht
„Treskow“ lautete der korrekte Name des späteren Widerständlers (S. 247); das
Militärgeschichtliche Forschungsamt wurde 1957 in Langenau bei Ulm und nicht in
Freiburg aufgestellt. Es hat auch nicht “ihren“, sondern „seinen“ Sitz in der
Villa Ingenheim (S. 262 gleich zweimal). Es fehlt hier auch, wie beim Stichwort
„Militärgeschichtliches Institut“ und „Militärarchiv“, die neueste Literatur,
während diese unter dem Stichwort „Ratsziegelei“ jedoch erwähnt wird;
sprachliche Unsauberkeiten wie „Unteroffiziersschule“ und „Offizierskasino“ (S.
285 u. 373) wären vermeidbar gewesen; nicht „Julius“, sondern Bogislav Albert Gustav Hermann Graf v. Hacke war der
Bauherr der „Villa v. Hacke“ (S. 377), schließlich wurde Prof. Giersberg 1995,
nicht „1991“ Generaldirektor der Schlösser- und Gärtenstiftung (S. 419) und
Johann August Eyserbecks Profession war die des Hofgärtners und nicht des
Historienmalers (S. 418).
Diese Einschränkungen, deren es
vermutlich in den anderen Bereichen noch etliche gibt und die ein kompetentes
Lektorat vermissen lassen, mindern den Wert dieses Lexikons in nicht
unerheblichem Maße. Mögliche und wünschenswerte weitere Auflagen sollten daher
dieses Werk zuvor einer gründlichen Revidierung unterziehen, um auch späteren
Rezensenten nachhaltige Verärgerung zu ersparen.
Karlheinz Deisenroth